Die Pandemie hatte dramatische Auswirkungen auf das weltweite Messegeschäft. Einige Spielemessen wie die E3 kehrten gar nicht mehr zurück. Ganz anders die gamescom, die mittlerweile auch in Asien und Südamerika am Start ist und in diesem Jahr in Köln neue Rekorde feierte. Wir sprachen mit Felix Falk, dem Geschäftsführer von game – Verband der deutschen Games-Brauche und somit dem gamescom-Chef über die Entwicklung und künftigen Ziele der weltweit größten Games-Veranstaltung.
VGMAG: Die gamescom ist jetzt die weltweit führende Messe für die Spieleindustrie. Wenn man in die Zukunft schaut, welche Ziele gibt es jetzt für die gamescom als Marke und Veranstaltung?
Felix Falk: Also zunächst einmal sagen wir niemals Messe, weil die gamescom viel mehr als eine Messe ist. Wir sehen es inzwischen als Festival, sogar als 360-Grad-Festival, weil es alle Aspekte von Games-Kultur und der Games-Branche abdeckt. Und da sind wir natürlich stolz darauf, dass das gelungen ist in dieser großen Vielfalt, die wir in der Games-Kultur sehen, das alles hier auf der gamescom zu haben. Die Herausforderung oder, da ich eher in Chancen denke, die Riesenchance sehen wir im Moment darin, dass mit dem Fehlen der E 3 das internationale Interesse noch mal gestiegen ist. In punkto Internationalität und Aussteller haben wir ein 15-prozentiges Ausstellerplus auf über 1.400 Ausstellende und wir sind bei der Anzahl der Länderpavillons von 37 auf 48 gestiegen. Das ist also ein Riesenwachstum, und zwar gerade im Bereich International. Und ich glaube, das ist auch ein klares Zeichen, dass da eine Riesenchance besteht.
VGMAG: Was ist die Herausforderung?
Felix Falk: Die Herausforderung ist, jedes Jahr wieder in dieser dynamischen Industrie mit der gamescom als Bühne für die Branche und als Bühne für den Content, den die Branche bietet, genauso zu agieren und genauso dynamisch zu sein. Das heißt immer wieder neue Trends abzudecken und immer das Zuhause für die Trends der Kultur zu sein, schnell da zu sein, wo die Community hingeht, um denen dann auch ein Zuhause zu bieten. Ich glaube, das ist der Spaß daran und aber auch die Kompetenz der gamescom. Wenn wir das gut hinkriegen, wie wir das in den letzten Jahren bewiesen haben, dann sind wir auch erfolgreich.
VGMAG: Das ist eine erstaunliche Entwicklung. Vor drei, vier Jahren, während der Pandemiezeit, haben wir uns gefragt, wie die Zukunft für Messen aussieht. Da hätte ich nicht erwartet, dass sich die gamescom so entwickelt.
Felix Falk: Ja. Wir haben in der Corona-Zeit einiges richtig gemacht, wo es andere verschlafen haben, auf „rein digital“ zu gehen. Das war ein knochenharter Job, wirklich nicht vergnügungssteuerpflichtig und war viel Arbeit. Aber wir haben genau das nachvollzogen als Event, was die Branche auch gemacht hat. Da haben wir mit einer Opening Night Live und einer rein digitalen gamescom etwas gemacht, wovon wir jetzt profitieren, so dass wir jetzt umso mehr in der hybriden Welt leben und man das auch im Rest der Gameswelt sieht. Das spiegeln wir als gamescom. Wenn wir das gut repräsentieren können, wie die Branche agiert und wie die Community ist, dann sind wir auch bestes Zuhause dafür.
VGMAG: Was ist die Hauptschwierigkeit bei der Positionierung und Organisation einer gamescom in dieser einzigartigen und sich ständig verändernden Industrie?
Felix Falk: Man muss einfach sehr dicht dran sein und jede Bewegung nachvollziehen, um wirklich ganz oben mitspielen zu können. Wir haben uns jetzt noch mal breiter aufgestellt mit gamescom asia und gamescom latam. Besonders hat uns gefreut in diesem Jahr, wie erfolgreich die gamescom latam direkt gestartet ist mit hunderttausend Besuchern. Das ist natürlich auch noch mal eine zusätzliche Kraft, weil diese Veranstaltungen deswegen möglich wurden, weil die gamescom eine globale Marke geworden ist. Wir konnten dadurch auch die Satellitenevents, also die gamescom als Marke, auf andere Kontinente bringen und das stärkt natürlich die Marke und spiegelt zurück und befruchtet sich gegenseitig. Und das ist eine sehr gute Chance, das Thema wirklich auch überjährig und global so aufzustellen, dass die gamescom einfach nicht mehr wegzudenken ist.
VGMAG: Bei der gamescom-Gesamtbetrachtung gibt es ja mit der devcom noch eine Entwicklermesse, die ja direkt im Vorfeld läuft. Wie wichtig ist dieses Event strategisch und die Verknüpfung und Synchronisation mit der gamescom?
Felix Falk: Das ist superwichtig. Das ist eine Familie mit einem fließenden Übergang. Wir sehen, dass immer mehr internationale Besucher durch diese gestiegene Internationalität ihre Termine nicht nur an den wenigen Businesstagen machen, sondern sie sich eigentlich die ganze Woche Zeit nehmen. Es ist so relevant ist für sie, Ende August hier in Deutschland zu sein, dass einfach mehr Tage gebraucht werden. Da ist ein super Übergang von den Core-Developer-Themen mit 45% Wachstum und über 5.000 Menschen, die dann aber wirklich die ganze Woche nutzen. Da ist die devcom der perfekte Start, wo noch die Zeit ist sich auch mit Inhalten zu beschäftigen, sich wirklich in Talks zu setzen, zu lernen und ganz intensive Meetings zu haben, ohne den ganzen Trubel von Hunderttausenden Leuten drumherum. Und dann geht es am Mittwoch ja in die Rakete rein mit den Meetings im Halbstundentakt.
VGMAG: Dann wird es richtig stressig für Fachbesucher.
Felix Falk: Aber beides zu haben ist auch wichtig, weil dann auch die Zeit ist für die intensive Auseinandersetzung. Es ist deswegen ein perfekter Mix, der ja von der Öffentlichkeit gar nicht so bemerkt wird. Aber für die ist es auch nicht gedacht, sondern für das Business. Und als Business-Plattform hat die gamescom deswegen mittlerweile auch so eine große Bedeutung.
VGMAG: Nach Europa folgten für die gamescom ja Asien und Südamerika. In den USA gibt es jetzt seit Jahren ja kein Games-Event mehr nach der Einstellung der E3. Ist das eine Möglichkeit darüber nachzudenken, die gamescom auch noch nach Amerika zu bringen?
Felix Falk: Die gamescom braucht für sich selbst keinen Satelliten in den USA. Die gamescom ist eine globale Brand und wir haben uns ganz bewusst bei dem neuesten Satelliten für Lateinamerika entschieden. Nicht nur, weil wir da einen perfekten Mix an Partnern haben und ein existierendes Event, wo wir direkt aufbauen konnten und das richtig groß machen konnten. Sondern auch, weil Brasilien natürlich ein unglaublich spannender Wachstumsmarkt ist. Und da spielt im Moment echt viel Musik. Ob irgendwann die USA die gamescom brauchen, das wird man sehen. Wir sind natürlich immer offen für gute Ideen. Aber wir suchen jetzt nicht pro-aktiv nach neuen Standorten, weil wir lieber das, was wir machen, richtig gut machen als schlecht zu skalieren.
VGMAG: Meine persönliche Meinung ist, dass die E3 ja immer ein bisschen der gamescom geschadet hat in der Form, dass im Juni schon viele Sachen bekannt waren, die man dann im August wieder gesehen hat.
Felix Falk: Wir haben es früher nie als Konkurrenz wahrgenommen, weil es natürlich auch viel Positives hatte, dass die E3 und die gamescom fest in den Kalendern eingeplant waren. Die fehlende E3 hat natürlich auch einiges durcheinandergewirbelt in den Unternehmen, die sich dann im Jahreskalender erst einmal umgewöhnen mussten. Auch was die Bedeutung von physischen Events angeht. Da sind wir als gamescom nun mit die letzten, die jetzt immer wieder beweisen müssen, wie wichtig Events oder hybride Events sind. Das müssen wir jetzt allein für die Industrie darstellen, aber wir kriegen es zum Glück gut hin.
Wir nutzen diese Fehlstelle der E3 gerade für den amerikanischen Markt, um nicht dort den Eindruck zu hinterlassen, es würde reichen, alles nur noch digital zu machen. Das heißt, wir sehen es auch ein bisschen als unseren Auftrag an, die Leute hier immer wieder eintauchen zu lassen in die Games-Kultur. Sie sollen merken, dass das ein ganz intensives Erlebnis gerade für die Community ist. Was es hier on top gibt und was andere nicht herleiten können, ist, dass es eine Plattform ist, wo die gesamte Industrie zusammenkommt. Man kann natürlich ein Fan-Fest machen und jeder kann seine Core-Community einladen, aber das ist was völlig anderes im Vergleich zu unserem Festival hier. Das ist einfach einmalig.
VGMAG: Wenn man aus Publisher- und Entwicklersicht die Regionen Nordamerika, Asien und Europa sieht, dann fällt auf, dass Europa und speziell auch Deutschland eher schwach sind. Hat es eine Bedeutung für die gamescom und die devcom?
Felix Falk: Aus der Vogelperspektive betrachtet hat die Stärke von einzelnen Standorten für die gamescom jetzt nicht so eine hohe Bedeutung, weil es ja eine internationale Veranstaltung ist. Diese wird natürlich mit Deutschland verbunden, weil die Leute Köln lieben, weil sie unsere Kultur gut finden. Aber für uns, für mich als Verband, ist das natürlich schmerzlich zu sehen, dass die Musik, die hier spielt auf der gamescom, woanders gemacht wird und nicht in Deutschland und wir immer schon intensiv suchen müssen, um die guten Beispiele aus Europa zu zeigen im Verhältnis zu der Masse an guten Angeboten aus anderen Ländern. Das heißt, es ist unser Job und vor allem der Job der Politik, für Rahmenbedingungen zu sorgen, dass wir wachsen können und in zehn Jahren viel mehr Stände und viel mehr Spiele und viel mehr Highlights auch aus Deutschland und Europa kommen. Aber ich glaube, das ist für die Leute, die die gamescom besuchen, gar nicht so wichtig.
VGMAG: Man muss fairerweise sagen, dass es eine Reihe von engagierten Politikern gibt, die nicht nur Ankündigungen machen, sondern sich aktiv für bessere Rahmenbedingungen einsetzen wie beispielsweise Dr. Mehring, der Digitalminister aus Bayern oder Medienminister Liminski aus NRW.
Felix Falk: Ja, das stimmt!
VGMAG: Wie wichtig ist der gamescom Award, welche Pläne gibt es damit?
Felix Falk: Der gamescom Award ist ein ganz wichtiges Element im gamescom-Universum. Man hat so immer die Möglichkeit, immer wieder besondere Spiele herauszugreifen. Wir haben eine exzellente Jury, die international besetzt ist mit Journalistinnen und Journalisten, die zusammen mit der Community in bestimmten Kategorien dann wirklich noch mal ein Highlight setzen. Auf 230.000 Quadratmetern mit 1400 Ausstellenden hat man so eine Riesenvielfalt, wo es dann sehr schön ist, auch nochmal die Highlights herauszugreifen, die von Profis und der Community geschätzt werden. Und was auch schön ist, wir haben einen „Heart of Gaming“-Award, der ist unabhängig von Spielen und hat eine übergreifende Bedeutung. In diesem Jahr hat „Games protect democracy“ gewonnen. Das ist einfach ein wunderschönes Beispiel dafür, was Spiele für ein Potenzial haben und wie Spiele positiv wirken können. Und da freue ich mich über die Entscheidung der Jury, einen Schwerpunkt zu setzen in unseren Zeiten von Desinformation, Geschichtsvergessenheit und von Demokratiefeindlichkeit, welchen positiven Beitrag Spiele da leisten können. Das sehen wir hier eben ganz oft auf der gamescom und da gilt es auch, die Öffentlichkeit auf solche tollen Beispiele aufmerksam zu machen.
VGMAG: Die Wahrnehmung und Positionierung von Videospielen in der Öffentlichkeit im Vergleich zu Kultur, Kunst, Filmen und Musik: Wie hat sich das in Deinen Augen in den letzten Jahren entwickelt?
Felix Falk: Ich glaube, da waren Schritte zu sehen. Von Interesse hin zu Verständnis. Hin zu Anerkennung. Hin zu Enthusiasmus. Und zwar in allen unterschiedlichen Bereichen dessen, was Spiele machen können. Der kulturelle Aspekt und der künstlerische Aspekt, der wird immer stärker gewürdigt und das sehen wir auch daran, dass dieses popkulturelle Phänomen Games inzwischen so weit verbreitet ist, dass es in allen Bereichen auftaucht – Musik, Mode, Film. Und Games werden nun auch in allen Bereichen der Kultur total anerkannt, so dass jetzt das Museum of Modern Art genauso Spiele sammelt wie die Französische Nationalbibliothek, weil das einfach das relevanteste Medium unserer Zeit ist und in der langen Geschichte der Kultur eine Weiterentwicklung darstellt. Gerade auch, weil es schon immer das einzige Medium ist, was schon immer digital war und deswegen natürlich noch mal ganz spannende neue Sachen mitbringt.
Es gibt auch ein tolles Beispiel mit der Amaze hier auf der Gamescom, die ja wirklich crazy, experimentelle, total witzige, spannende Installationen machen mit Games. Das vergisst man manchmal, wenn man so die großen Blockbuster sieht. Ich finde, die relevantesten, kreativsten Geschichten, die werden über Games heute erzählt und das zeigt die gamescom.
VGMAG Letzte Frage: Was brauchen die Gamer?
Felix Falk: gamescom.
VGMAG: Perfektes Schlusswort. Vielen Dank, Felix!
Interview geführt von Marco Accordi Rickards und Hans Ippisch.