Macross – Shooting Insight Rezension: Pinkes Robo-Wunderland

Ein Spiel im beliebten Macross-Universum? Und es ist ein Shoot ‚em Up? UND es erscheint in Europa? Wieviele Wünsche sind das jetzt auf einmal? Jedenfalls bedarf dieses unerwartete Überraschungsei einer genaueren Untersuchung!

Zuerst stieß ich über das Spiel, als ich Online-Shops von japanischen Händlern durchstöberte. Als Fan von Nischen-Genres wie Strategie-RPGs oder eben Shootern lassen sich hier immer noch Perlen finden, die es niemals in westliche Laufwerke schaffen. Obwohl grausam durch Maschinen-Übersetzung verstümmelt, las sich die Beschreibung interessant. Die Macross-Reihe hatte in den Neunzigern einige hochwertige Ballereien hervorgebracht. Der Titel „Shooting Insight“ ließ mich sogar hoffen: Sollte es sich hier gar um eine Sammlung dieser alten Titel handeln? Scrambled Valkyrie (Super Famicom, 1993), Do You Remember Love? (SEGA Saturn, 1997) sowie NMKs Arcade-Outing sind noch heute hervorragende Titel, denen ein Release auf modernen Konsolen gut zu Fresse stehen würden. Contra und Castlevania hatten es vorgemacht, also warum nicht?

Blind habe ich bestellt und zweifach wurde ich enttäuscht. Nein, es war keine Compilation, sondern ein komplett neuer Shooter. Das war verkraftbar, könnte er doch richtig gut sein eingedenk der Historie. Der nächste Klops wog schon schwerer im Magen: Das Ding stellte sich als komplett japanisch heraus. Selbst die krassesten Nischenprodukte werden in Japan heutzutage mit zumindest englischen Texten ausgestattet und das würde auch die Macross-Macher wissen – so meine bange Hoffnung. Nein, sie wussten es nicht. Und so erschlug mich eine Textwüste japanischer Zeichen.

Doch wir leben in seltsamen Zeiten. Dieses obskure Stück Software hat es tatsächlich nach Europa geschafft, inklusive englischer Lokalisierung. Jetzt konnte ich endlich verstehen was hier abgeht und mein Import-Schmerz wurde leicht gemindert – abgesehen davon, dass sich meine japanische Import-Bluray ab jetzt bestenfalls als Eiskratzer oder Untersetzer für Getränke eignen würde.Aber hey, es ist Winter und ein guter Schluck ist nie verkehrt.

Doch genug gejammert. Ihr seid schließlich hier um etwas über das Spiel zu erfahren, richtig? Am Anfang wählt ihr einen von fünf Piloten. Das sind nicht nur fünf Mech-Konfigurationen für fünf verschiedene Spiel-Stile, sondern auch fünf eigene Geschichten. Das werdet ihr gleich nach der Piloten-Auswahl lernen. Hier wird viel geredet, sehr viel. Also wirklich viel! Macross: Shooting Insights ließe sich mit etwas Spucke und gutem Willen auch als Visual Novel mit Baller-Einlagen verkaufen. Ganz so krass wie im verwandten Yurukill: The Calumniation Games ist es jedoch nicht. Hier halten sich Rede-Anteil und Baller-Phase in etwa die Waage.

Habt ihr euch durch das Gelaber durchgeklickt oder es sogar genossen (Hey, i don’t judge!), geht es endlich aufs Schlachtfeld. Und da wartet der nächste Schock, besonders für Next Gen-Gamer und Bildpunkt-Fetischisten: Das sieht doch hier aus wie PS2! Abgesehen von der HD-Auflösung könnten die Bilder hier von einer 25 Jahre alten Konsole stammen. Die Grafik ist flüssig und tut ihren Zweck, aber schön schwätzen lässt sie sich nun wirklich nicht.

Doch kommen wir zur Kernkompetenz des Spiels, dem Gameplay. Die Jäger steuern sich griffig und direkt. Macross-typisch kann sich euer Flieger in einen Roboter und die Mischform Gerwalk verwandeln. Dies sorgt für spielerische Abwechslung und geschiet automatisch. Die Level unterteilen sich in Mini-Stages, in denen mal horizontal, mal vertikal geballert wird. Freiflug-Arenen mit 360 Grad-Ballerei ähnlich der frühen thunderforce-Teile gibt es auch. Mittels R1 wird kräftig nach vorne geballert. Wer es etwas fancier möchte, der markiert mit dem rechten Stick seine Ziele und verschießt beim Loslassen zielsuchende Raketen. Ein Feature, das ich lange nicht mehr gesehen habe und welches warme Terra Diver-Vibes in mir auslöst. Eine begrenzte Super-Attacke gibt es natürlich auch.

Apropos Vibes… Kommen wir nun zum Kern-Feature von Macross – Shooting Insight. Je weiter ihr in den Stages fortschreitet und je mehr Hinterlassenschaften ihr von besiegten Gegnern einsammelt, desto bunter wird das Geschehen. Die Bildränder werden schleichend in Regenbogenfarben getaucht und es blitzen Glitzersterne auf. Irgendwann singt euch eine Sängerin ein schräges japanisches Lied. Dies kommt immer wieder überraschend und hat tatsächlich Story-Wurzeln, da sich unsere Piloten hier auf die suche nach verschollenen Songstresses der Liebe machen. Wer hier also einen harten, bierernsten Weltraum-Shooter erwartet, dürfte sein pinkes Wunder erleben.

Abgesehen vom pinken Einhorn-Blingbling wirken die Level recht Schmucklos, was natürlich an der wenigen Grafik liegt. so fehlt es den Levels an Profil und es ist manchmal schwer zu erkennen, an welchem Punkt der Stage ihr euch gerade befindet. Dabei kann das Level- und Gegnerdesign durchaus was! Die Schuss-Formationen der Feinde sind gut auf eure Fähigkeiten abgestimmt. Es wird in alle Himmelsrichtungen gefeuert und Gegner nutzen gerne breite Raketen-Fächer, um euch zum großflächigen Ausweichen zu zwingen. Manchmal hindern euch großflächige Kugelfelder aber genau daran und zwingen zum präzisen Manövrieren.

Aber Moment mal, fehlt da nicht was? Im Vergleich zur japanischen Version fehlen der Euro-Auflage zwei Charaktere, nämlich Lynn Minmay und Hikaru Ichijyo, die beide in der ursprünglichen Macross-Serie auftreten. Dies wird wahrscheinlich lizenzrechtliche Knitterigkeiten als Hintergrund haben und ist für Fans ein schwerer Schlag. Und auch den Shmup-Freunden fehlt nun eine Gleiter-Option. Dies dürfte auch der Grund sein, warum meine Japan-Disc immer noch mit Schriftzeichen um sich wirft und auch keinen nachträglichen Sprach-Patch erhalten hat. Hex, das Teil ist doch noch irgendwie unique! Also den Silberling schnell wieder aus dem Handschuhfach geholt.

Macross – Shooting Insights ist auf Steam, PS4 und 5 sowie Switch erhältlich. Für die Konsolen gibt es auch physische Editionen bei Red Art Games. Wer möchte, kann sich sogar eine Limited Edition inklusive Soundtrack-CD ins Sammler-Regal stellen.

So rar wie ein Einhorn und ebenso bonbonbunt: Macross: Shooting Insights ist nicht für jeden geeignet, ja nicht einmal für jeden Shmup-Fan. Wer sich von dem Wall of Text und der PS2-Grafik nicht abschrecken lässt, der bekommt einen quietschigen Genre-Cocktail mit originellem Gameplay und viel, viel Story geboten. Wechselnde Perspektiven und Ziel-Laser sind Dinge, die das Genre in den letzten Jahren schmerzlich vermissen ließ.

Selbsternannter Experte für Bullethell-Shooter und Soulslikes. Schreibt auch für die Pxelbücher (www.elektrospieler.de) und die Return (www.return-magazin.de)